Uli Auffermann im Gespräch mit Hans Kammerlander
Der Berg hat mir viel gegeben, aber auch viel genommen
Hans Kammerlander feierte am 6. Dezember seinen 60er. In einem sehr persönlichen Gespräch blickt er zurück, erinnert sich an seine Kindheit, spricht über sein Leben als Bergführer, über den Unfall vor ein paar Jahren, über das Älterwerden und darüber, welche Rolle Berge und Oldtimer in seinem Leben spielen.
Zur Person
Der Bergführer, Skilehrer und Extrembergsteiger Hans Kammerlander, geboren am 6. Dezember 1956 als Bergbauernsohn in Ahornach im Südtiroler Tauferer Ahrntal, hat die Berge im Blut und gilt als einer der renommiertesten Alpinisten. Mit zahllosen Klettereien, etlichen Erstbegehungen, 13 Achttausendern und gewagtesten Skierstbefahrungen an den höchsten Bergen der Welt, aber vor allem durch seinen allzeit fairen Stil gebührt ihm ein fester Platz in der Hall of Fame des Alpinismus. Als Vortragsredner und Buchautor ist er überdies ein großer Botschafter der Berge.
Foto: © Archiv Kammerlander
Uli Auffermann: Hans, Du kannst auf ein sehr bewegtes, intensives Leben zurückblicken. Wo stehst Du heute und wie geht es weiter?
Hans Kammerlander: Ich habe mich mittlerweile entschieden, dass ich nicht mehr gesteuert werden will. Ich wollte mir wieder Ziele suchen, die man ganz für sich entscheiden konnte – aus vollem Herzen und auf ruhigen Pfaden, etwas Neues machen.
Aber blicken wir zunächst zurück. Aufgewachsen bist du ja auf einem Bergbauernhof.
Ich bin auf einem ganz kleinen Hof in 1.500 Metern Höhe geboren, ohne Zufahrt und elektrisches Licht, alles wurde in reiner Handarbeit gemacht. Bis zum 21. Lebensjahr habe ich dort gewohnt. Das war meine Heimat. Wir waren sechs Kinder, drei Mädel und drei Buben, und haben nach wie vor ein gutes Verhältnis. Ich lebe in der Nähe in Ahornach, das ist ein schönes kleines Dorf. Da habe ich mir ein Haus gebaut, im tibetischen Stil, wie ich es mag, mit Holz und Stein. Eine meiner Schwestern wohnt nur 200 Meter Luftlinie von mir entfernt. Sie hat mich nach dem Tod unserer Mutter aufgezogen. Ich war damals zehn, und natürlich war es schlimm, aber weil sie gleich für mich da war, ging es.
Hans, wer dich kennt, erlebt dich als bescheidenen, sehr wahrhaftigen Menschen. Hat diese Art auch mit der Kindheit als Bergbauernsohn zu tun?
Ja, ich glaube schon. Ich mag zum Beispiel das offene, gradlinige Gespräch, das ist meine Art, und das liegt auch ein bisschen an der Mentalität der Bergbauern. Die waren schon etwas eigenbrötlerisch, sie müssen ja auch schauen, dass sie zurecht kommen. Aber ich kann nur sagen: „Seid offen – dann könnt ihr auch gut schlafen.“
Prägte dich die Zeit auch im Umgang mit dem Berg und der Natur?
Ganz sicher, die Wertschätzung und der Respekt vor der Natur wurden in der Kindheit angelegt und sind auf jeden Fall geblieben. Dazu gehört für mich, dass man beim Essen nicht wuchern sollte. Der respektlose Umgang mit Lebensmitteln ist für mich etwas ganz Schlimmes, es geht nur noch ums Reinstopfen. Und vieles davon ist Fleisch – mit den Tieren muss man respektvoll umgehen, sie sollten mit Sorgfalt aufgezogen und mit Würde geschlachtet werden. Und demgegenüber dann der wirkliche Hunger in der Welt, den es so viel gibt!
Wenn du dich entscheiden müsstest: Was ist für dich persönlich der wichtigste Wert?
Ganz eindeutig, das Direkte, das Offene, das Ehrliche – das schätze ich am meisten! Man muss in den Spiegel schauen können, das ist wichtig. Die Ehrlichen, von denen habe ich viele an meiner Seite. Klar wird man mal vor den Kopf gestoßen, aber dann kann man sich damit auseinandersetzen und auch daraus lernen.
Wie siehst du die Entwicklung im Alpinismus heute?
Teilweise werden Begehungen von starken Sponsoren medial zu sehr gepuscht. Wenn z. B. die ganze Route komplett abgesichert ist und ein Sturz mehr dem Reinspringen bei einer Klettergartentour ähnelt und ein Filmteam dabei ist, dann sind Abenteuer, Ungewissheit und Abgeschiedenheit doch weg, dann kann man bestimmt nicht von einem Grenzgang reden. Es sind noch immer Alpinisten in schweren Routen an den höchsten Bergen unterwegs, aber diese Leute kennt keiner, und die könnte auch kein Kamerateam begleiten.
Teilweise werden Begehungen von starken Sponsoren medial zu sehr gepuscht. Wenn z. B. die ganze Route komplett abgesichert ist und ein Sturz mehr dem Reinspringen bei einer Klettergartentour ähnelt und ein Filmteam dabei ist, dann sind Abenteuer, Ungewissheit und Abgeschiedenheit doch weg, dann kann man bestimmt nicht von einem Grenzgang reden. Es sind noch immer Alpinisten in schweren Routen an den höchsten Bergen unterwegs, aber diese Leute kennt keiner, und die könnte auch kein Kamerateam begleiten.
Foto: © Archiv Kammerlander
Du gehörst ohne Zweifel zu den ganz großen Bergsteigern und hast jetzt schon zu Lebzeiten einen sehr bedeutenden Platz im Geschichtsbuch des Alpinismus. Dabei zeichnest du dich als kompletter Alpinist aus, mit den größten Fähigkeiten in allen Stilarten. Zahllose schwerste Klettereien, etliche Erstbegehungen, die Achttausendergipfel, ja sogar Pioniertaten auf Ski sind das Ergebnis einer beispiellosen Bergsteiger-Karriere. In welchen Gedanken bündeln sich all diese Erlebnisse, wenn du zurückblickst?
Wenn ich zurückdenke: Der Berg hat mir viel gegeben, aber auch viel genommen. Die Hälfte meiner engsten Freunde sind am Berg geblieben. Ich habe extremes Glück, aber auch mit Reinhold Messner einen wirklich guten Lehrer gehabt, denn man kann nicht als Draufgänger gegen den Berg kämpfen. Die heldenhaften Nordwandgeschichten habe ich sowieso immer abgelehnt. Seit einer Weile brauche ich auch kein Schulterklopfen mehr. So was dauert lange, bis man es ablegt. Mir ist heute ein nettes, anerkennendes Wort von bestimmten Leuten viel wichtiger.
Und der Berg an sich, was gibt er dir heute?
Das Hinaufgehen in die Bergkulisse bedeutet mir viel, ich komme voll aufgetankt zurück, mit positiven Bildern. Es ist schön, körperlich etwas gemacht zu haben, es ist so schön, zu rasten, wenn man müde ist, man freut sich über alles. Dafür bin ich dankbar. Im Laufe der Jahre habe ich viel mehr Augen für das Drumherum bekommen: wie sich die Natur verändert, die Blumen, ich finde sogar Regenwetter toll. Bei den ersten Expeditionen habe ich beim Anmarsch noch gedacht: „Oh je, noch eine Woche, bis wir am Berg sind...“. Heute ist der Gipfel nicht mehr das ein und alles! Ich muss zugeben, da habe ich viele Jahre einiges versäumt, aber das kann ich ja jetzt nachholen.
Ja, vor allem kannst du das ja auch ideal als Bergführer verbinden. Wie wichtig ist dir der Beruf des Bergführers?
Das war schon in der Jugendzeit mein Traum. Dann war das Ganze zeitweise durch die Expeditionen, die Vorbereitungen, das Ziele-Suchen, die Vorträge ziemlich eingeschlafen. Seitdem ich wieder mehr als Bergführer arbeite, merke ich, wie toll es ist, dazu beizutragen, wenn für meine Gäste ein großer Wunsch in Erfüllung geht. Das gefällt mir, das Leuchten in den Augen, die Freude, dass sie ihr Ziel erreicht haben. Und: Als älterer Bergführer hast du es viel leichter, du triffst die Entscheidungen viel klarer und lässt dich auch nicht mehr zu etwas überreden. Wenn man soweit gekommen ist, kann man mit Freuden morgens aufstehen!
Kammerlander beim Heuen. (Foto: © Archiv Kammerlander)
Kannst du denn auch mal ganz ohne Berge sein?
Das kann ich schon, gerade wenn die Saison vorbei ist. Dann muss ich etwas durchatmen. Ich geh’ ja im Urlaub nicht in den Keller! Im September fahre ich ganz gerne z. B. nach Sardinien ans Meer. Ich gehe gerne zum Tauchen, wenn auch noch nicht so tief hinunter, mache ein paar Tage Urlaub. Ganz entspannt, wobei Wellness nicht meine Welt ist! Ich kann komplett relaxen, das ja, aber erst nach einer gewissen körperlichen Anstrengung. Im Frühjahr allerdings, da will ich nicht ans Meer, da brauche ich die Berge!
Und in einer ganz normalen Woche, wo der Berg nicht im Mittelpunkt steht?
Das ist ganz unterschiedlich. Obwohl der Berg eigentlich in jeder Woche eine Rolle spielt. Wenn ich wirklich mal nicht am Berg bin, arbeite ich gerne an meinen Oldtimern. Das wundert mich selbst, es passt gar nicht zu meinen sonstigen Vorlieben, dass ich in aller Ruhe einen Motor auseinandernehmen kann und schauen, warum irgendwas nicht so rund läuft. Dafür hätte ich mir früher keine Zeit genommen.
Etwas, was dich ganz sicher aus einem normalen Alltag gerissen hat, war der tragische Unfall mit dem Auto.
Ich fahre so viele Kilometer, da kann immer etwas passieren. Aber wenn ein Fehler passiert, wenn man Alkohol getrunken hat, ist das ganz schlimm, das darf nicht sein! Das kann ich nie wieder gut machen. Es ist eine Sache, die mich selber auch sehr getroffen hat. In meinem Leben hat es einen tiefen Einschnitt gegeben.
Ich erlebe dich als sehr feinfühligen Menschen, der sich in dieser Situation bestimmt auch einen anderen Umgang mit sich gewünscht hätte – was war das Schlimmste daran?
Die Anschuldigungen danach waren natürlich auch berechtigt. Es gab viele schlimme Wellen gegen mich, das ist klar. Jeder kann sagen, was er will, aber das offen heraus. Wer sich aber versteckt, seinen Namen nicht nennt – vor solchen Leuten habe ich keinen Respekt! Da haben mich die Südtiroler sehr enttäuscht.
Und wie stellt sich die Situation heute für dich dar?
Mit den Angriffen ist es weniger geworden. Irgendwann müsste auch das Bösartige ja mal weniger werden. Die engen Freunde sind geblieben, da ist die Freundschaft sogar noch stärker geworden. In solchen Sachen lernt man die Leute kennen. Als Folge spreche ich nicht mehr mit den Südtiroler Medien, mache auch keine Vorträge mehr in Südtirol – die wissen schon, warum.
Hans Kammerlander und Uli Auffermann (Foto: Archiv Heckmair-Auffermann)
Fühlst du dich in Südtirol entwurzelt, hast du gar die Heimat verloren?
Nein, das habe ich nicht. Die Leute waren schlecht zu mir, aber das sind sie auch bei anderen Dingen. Ich vermute, das ist aus der Südtiroler Geschichte entstanden. Wenn etwa einer mit Geld kommt, dann lullen sie, hinter der Hand schimpfen sie. Das finde ich falsch. Es gibt bei mir schon Überlegungen wegzugehen, nach Tirol vielleicht ...!
Was bedeutet dir die Arbeit als Vortragender?
Ich treffe dabei, teilweise weit weg von den Bergen, mit Natur- und Bergfreunden zusammen. Wenn ich denen etwas von mir schildern kann, dann erfüllt mich das mit Freude, dann mache ich das gern! Wir reden miteinander, und manchmal bekomme ich später vom Veranstalter eine Rückmeldung, dass die Leute sich im Anschluss noch lange weiter unterhalten haben. Ich mache auch gern kürzere Sachen. Zum Beispiel spreche ich vor Managern, erzähle von meinen Eindrücken und Erlebnissen, von Schlüsselmomenten aus meinem Leben. Das sind oft ängstliche Menschen! Das können die ja in ihrer Stellung nicht zeigen, aber das merke ich sehr schnell. Diese Art Vorträge soll auch verstärkt ein Zukunftsding werden. In Planung ist auch eine Art Drei-Generationen-Vortrag über das Höhenbergsteigen. Kurt Diemberger wird mitmachen und einer von den jungen Top-Alpinisten, so dass wir drei jeweils von unseren Erfahrungen berichten und die Zeit von einem zum nächsten weiterreichen. Also, Arbeit habe ich genug, und gar nichts zu machen ist auch nicht meins.
Also, wenn man dich so hört, spürt man, dass du voller Schaffenskraft und neuer Ziele bist. Hast du keine Probleme mit dem Älterwerden?
Nein, damit habe ich überhaupt keine Probleme. Das Loslassen vom Wettkampf ist mir leicht gefallen, und ich habe jetzt schon so viel erlebt, was mir bestätigt hat, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich bin ja öfter mit jüngeren Leuten unterwegs, und das Zusammenwirken ist toll, aber die Leistung treibt mich nicht mehr. „Was will der alte Affe da“, soll keiner über mich sagen. Da lasse ich die Finger von. Für mich war es wie eine Befreiung. Ich habe noch viele Ziele, doch das sind mehr Reisen. Es gibt noch Länder, die ich noch nie gesehen habe, und ich will auch die Aufgaben forcieren, die mir am Herzen liegen, wie Projekte mit Kindern in Nepal.
Hans Kammerlander und Uli Auffermann (Foto: © Archiv Heckmair-Auffermann)
Und wenn du einen Blick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung wirfst, was gefällt dir da so gar nicht?
Ganz ehrlich, ich habe eine Ablehnung gegenüber Beamten und Politikern. Man wird an der Nase herumgeführt! Die reden nur und lösen keine Probleme, das ärgert mich. Und die ganze elektronische Scheiße! Wenn man nicht mehr miteinander spricht, sondern nur noch E-Mails oder SMS oder so was schreibt, das ist krank! Das macht mir auch Sorgen, wenn alle Kinder nur noch mit Handys rumlaufen.
Du hast vollkommen recht, es geht nichts über das persönliche Gespräch. Wie geht es dir im Moment und was wünscht du dir persönlich für die Zukunft?
Über den Rest des Lebens mache ich mir keine Sorgen. Gerne würde ich meiner Tochter mehr die Natur zeigen. Sie ist jetzt 8 Jahre und lebt in Hamburg. Das ist zur Zeit das einzige, was mir nicht so gefällt. Ansonsten fühle ich mich momentan nicht unglücklich.
Von Uli Auffermann (erschienen im Land der Berge 07/2016)